Ellen R. Dornhaus

Foto-Ausstellung von Ellen Dornhaus

"Alice in Underworld" im Haus an der Redoute Bonn-Bad Godesberg

13.11.-7.12.2014

Einführungsrede:

Prof. Dr. Hermann Schäfer

Diese Ausstellung spielt mit vielen Assoziationen:

- Sie hat einen Titel der uns überrascht,

- sie hat Motive, die uns irritieren,

- sie spielt mit Begriffen,

- vertrauten ebenso wie fremden Begriffen,

- sie spielt mit Motiven, die positiv oder negativ konnotiert sind,

- die gute oder weniger gute Gefühle oder Assoziationen wecken können.

Ich habe schon viele Ausstellungen eröffnet, eine solche noch nicht.

Der Titel: Das Kinderbuch "Alice im Wunderland" oder wie es genau heißt "Alice's Adventures in Wonderland" des Briten Lewis Carrol, kennen viele von uns. Oder erinnern sich zumindest, dass sie es in ihrer Kindheit oder Jugend gelesen haben oder vielleicht vorgelesen bekamen. Sie befinden sich in bester Gesellschaft, denn zu den allerersten begeisterten Lesern zählten nach seinem Erscheinen vor rund 150 Jahren Oscar Wilde ebenso wie die britische Königin, Queen Victoria. Der Roman hat mehrere Fortsetzungen gefunden, Parodien nach sich gezogen, und viele weitere Autoren angeregt, darunter James Joyce und Stephen King. Zahlreiche Filme enthalten Anspielungen auf Alice, so bei Jean-Luc Godard, Wim Wenders, Martin Scorsese und Walt Disney. Bei Scorsese sagt Robert de Niro als verstörter Taxifahrer übrigens das berühmte Gedicht von Humpty Dumpty auf. In dem Film "Fahrenheit 451" ist Alice in Wonderland eines der Bücher , das vor dem Verbrennen durch die Regierung gerettet wird. Und heute wird es zu den 1000 Büchern gezählt, die man gelesen haben muss. Wie viele Gemälde und Musikstücke sich auf Alice beziehen, habe ich nicht gezählt, aber es gibt auch Tanztheater, ein Musical und eine Oper sowie sehr viele Theaterbearbeitungen berühmter Regisseure, von Peter Zadek bis Robert Wilson. All das wissen Sie als Liebhaber von Alice in Wonderland natürlich, ich muss es nur in Erinnerung rufen. Und wir merken uns: Eine Fotoausstellung gab es meines Wissens noch nicht.

Nun werden die Lewis Carrol-Liebhaber einwenden, dass der Titel dieser Ausstellung nicht Alice in Wonderland heißt, sondern Alice in Underworld. Damit bin ich wieder beim eingangs erwähnten Spiel mit den Begriffen. Ellen Dornhaus hat bewusst nicht das deutsche Wort "Unterwelt" gewählt, weil dieser in unserem Sprachgefühl eher bedrohlich, düster und nach Verbrechern klingt. In der griechischen Mythologie wird die Unterwelt allerdings nicht so geschildert, sondern sie ist ein Teil des Jenseits, die aus Ober- und Unterwelt besteht, beide voneinander getrennt durch den Fluss Styx. Hades ist der Herrscher dieser Unterwelt, Cerberus, der dreiköpfige Höllenhund, ihr Wächter. Nicht nur wer Griechisch in der Schule hatte, weiß das. Für alle anderen will ich zum Trost noch hinzufügen, dass nämlich die wenigsten Seelen in den Hades kommen, sondern die meisten ins Elysium, wo sie als Schatten weiterleben - ähnlich wie wir uns gerne den Himmel vorstellen.

Ellen Dornhaus spricht - wie gesagt - nicht von Unterwelt sondern von Underworld: Zum einen, weil sie die überaus negative Konnotation dieses Begriffs vermeiden will, zum anderen weil Alice ein britisches Kinderbuch ist. Ich vermute, dass auch eine Anspielung auf eine ziemlich bekannte Filmserie beabsichtigt ist. Nämlich auf Fantasy- und Horrorfilme unter dem Titel "Underworld", die 2003 erstmals in die Kinos kamen und 2006, 2009 und 2012 sogar Follow-Ups hatten. Sie zogen ein Millionenpublikum an. Die wenigsten hier werden sie kennen, nicht der Geschmack unseres Publikums - wie ich vermute. Denn es geht Lykanen um blutlüsterne Vampire, grausame Kampftiere und - hübsche Todeskriegerinnen. Kate Beckinsale spielte hübscheste von ihnen, die Selene, da war sie 30 Jahre alt. Aber beachten Sie die Vielseitigkeit dieser Schauspielerin: sechs Jahre vorher (1998), war sie mit 25 die Hauptdarstellerin in einem der vielen Alice-Filme. Am liebsten würde ich jetzt in die Runde fragen, wer sie kennt. Mindestens die Connaisseurs unter ihnen werden wissen, dass sie 2009 von dem US-Magazin Esquire zum "Sexiest Woman alive" gewählt wurde.

Mit all diesen Assoziationen spielt Ellen Dornhaus bei ihrem Ausstellungstitel. Eine Fotoausstellung ist ein visuelles Erlebnis. Die Künstlerin spielt auch mit den Motiven ihrer Fotos. Zunächst müssen wir uns frei machen von einer klassischen Erwartung, dass nämlich Fotos die Wirklichkeit abbilden. Diese Fotos bilden einen Bruchteil von Wirklichkeit ab, sie brechen die Wirklichkeit und verfremden sie. Ellen stellt die Wirklichkeit in einen neuen, einen anderen, jedenfalls meist unerwarteten oder überraschenden Zusammenhang. Hier ist Ellen Dornhaus bei weitem nicht mehr in erster Linie Fotografin. Sie wird zur Künstlerin, ihre Fotos sind nur ein Teil der Basis, aus der Kunst entsteht, viele weitere Techniken kommen hinzu. Wir erinnern uns, dass schon erwähnt wurde, sie hat Malerei studiert, seit etwa sieben Jahren beschäftigt sie sich intensiv mit der Fotographie. Unter ihren Techniken spielt auch die Fotobearbeitung mit Hilfe des Computers eine wichtige Rolle. Manche ihrer Motive sind mehrere Jahrzehnte alt, wurden noch analog fotografiert, nun sind sie in einem aufwendigen Rechenverfahren etwas anderes geworden - soll ich sagen fotografische Malerei oder malerische Fotografie? Sie sind beides und damit ist Ellen Dornhaus mehr als einer Kunstrichtung und einer Kunsttechnik verpflichtet.

Ich sagte Rechenverfahren und bin damit wieder bei Alice in Wonderland: Vielleicht erinnern sich die Liebhaber von Carrol, dass dieser Name nur sein Pseudonym war. Er hieß tatsächlich Charles Lutwidge Dodgson, war Diakon und Mathematiker, übrigens stotterte er. Und übrigens beschäftigte er sich auch gerne mit der Fotographie, die erfunden wurde, als er seine Alice-Bücher schrieb. Da Lewis Carrol Alice in ihrer fiktiven Welt so intensiv mit Logik und Mathematik spielen lässt, erfreuen seine Bücher sich nicht nur unter Kindern großer Beliebtheit - auch und erst recht unter Mathematikern.

Die Ausstellung ist in vier Räumen zu sehen: Sie sehen Menschen und Puppen, Landschaften und Gegenstände, unberührte Natur und künstliche Konstrukte, Tag- und Nachtszenen, Düsteres und Fröhliches, Dunkles und Helles, Hässliches und Schönes, Trauriges und Fröhliches.

Im ersten Raum hängt das Schlüsselbild der Ausstellung, das Sie auch von der Einladung kennen: Sie sehen Alice, ein Stück Text und eine dem Buch entschlüpfende Larve, die bereits eine Libelle ist, sie könnte in die phantastische Welt der Alice entfliegen. Beachten Sie in diesem Raum auch die romanischen Kreuzgänge und die darin verfremdeten Puppen: für mich symbolisieren sie Vanitas, also die Vergänglichkeit des Lebens. Anderswo sind Totenköpfe das Symbol der Vergänglichkeit, hier sind es häufig Puppen. Das Stillleben mit dem Strauß vertrockneter Blumen werden Sie nicht übersehen-die vertrockneten Hortensien stehen nicht von ungefähr daneben.

Im zweiten Raum viele Kontraste, vor allem aus dem südamerikanischen Westen, namentlich aus Arizona. Die Menschen wirken verloren, die Atmosphäre von Freiheit, Schönheit und Abenteuer strahlen eher die abgebildeten Tiere aus.

Der dritte Raum führt nach Bonn zurück, konkret nach Tannenbusch, in einen sozialen Brennpunkt. Eine 90-Jährige neben einem lesenden Mädchen. Welche Beziehung stellen Sie zwischen beiden her? Ihre Aufgabe!

Der vierte Raum führt uns wieder zu Alice zurück: Die Kenner wissen, das zweite, sechs Jahre nach dem ersten erschienene Alice Buch hieß "Alice hinter den Spiegeln". Ellen Dornhaus spielt erneut mit uns als Betrachtern: Sie hat sieben Spiegel in diesen kleinen Raum gehängt, die einerseits die Grenzen des Raumes aufheben, andererseits unsere eigenen Abbilder in einen Kontext setzen mit den dort hängenden Fotos, neben Blumen ebenso wie neben Gipsfiguren, neben Erinnerungsfotos von Verstorbenen. Erneut Anspielungen an die Vergänglichkeit, an Märchen und Sagen. Es sind absichtlich sieben Spiegel; denn die Zahl Sieben kommt häufig in Märchen vor, sie steht auch für Unendlichkeit, und wir wissen, der siebte Himmel ist der Schönste.

Ellen Dornhaus wünscht sich, dass Sie sich selbst Ihre Geschichten von Bild zu Bild ausdenken, sie herbeiphantasieren. Vielleicht bin ich auch deswegen zu der Ehre gekommen, diese Ausstellung eröffnen zu dürfen. Ich habe zwar mal ein Vorwort zu einem ihrer Projekte beisteuern dürfen, übrigens einem sehr schönen Projekt über das Thema "Lebensläufe". Ich glaube einige wenige Exemplare des Buches sind hier noch erhältlich oder in der Buchhandlung am Park. Aber ich hoffe, ich wurde nicht nur deswegen eingeladen.

Wichtiger ist mir nämlich etwas anderes: Ich spreche nämlich gerne von einem magischen Dreieck zwischen Exponat, hier ist es das ausgestellte Bild, dem Konzept der Künstler und schließlich dem Betrachter, also Ihnen. Jeder dieser drei Faktoren ist variabel, das Dreieck verändert sich von Mal zu Mal des Betrachtens geradezu magisch. Ja, es ist auch davon abhängig, in welcher Stimmung Sie die Bilder betrachten und mit wem sie darüber sprechen. Also sprechen Sie darüber, erleben Sie Ihre Rolle im magischen Dreieck. Ich meine das übrigens ernst, das ist jetzt kein logisches Wortspiel oder geometrisches Dreieck.

Und noch ein letzter Aspekt: Mich hat immer die Frage bewegt, ob Frauen anders fotografieren als Männer. Ich vertrete diese These seit Jahren und wollte einmal eine Ausstellung dazu organisieren. Leider wurden mir damals immer wieder Expertisen vorgelegt, die meine These widerlegen sollten. Die Erklärung war: Männer und Frauen fotografierten nicht unterschiedlich, sie hätten allenfalls ein Interesse für unterschiedliche Motive. Ich hatte dagegen einen Befürworter meiner These auf meiner Seite, der allerdings gewichtig ist: Helmut Newton bestätigte meine These sehr nachdrücklich, und zwar nicht wegen seiner Frauenmotive sondern mit einem Hinweise auf die geschlechtlichen und psychischen Unterschiede von Männern und Frauen. Er sagte das damals zu mir so drastisch, wie ich es hier nicht widergeben kann. Es wäre nicht jugendfrei!

Diese Ausstellung bestätigt die These, dass Frauen unterschiedlich fotografisch arbeiten. Dies ist eine Ausstellung, wie sie ein Mann wahrscheinlich nicht realisieren würde. Warum?

o natürlich, weil Ellen Dornhaus eine Frau ist;

o weil sie in ihrer Technik eine Mischung zwischen Weichzeichnung, Kontrasten sowie Bildhärten wählt, die ich für feminin halte;

o weil sie eine feminine Diskretion pflegt und ins Bild setzt;

o weil ihr Objektiv sozusagen feminin fokussiert ist;

o weil sie feminine Motive nutzt;

o weil sie die Motive feminin sieht und mit weiblicher Psyche analysiert,

o kurzum, weil sie Motive mit weiblichen Augen sieht.

Ich bin gespannt, was Sie dazu meinen. Ich hoffe, ich konnte Ihnen aus Anlass dieser Eröffnung einige Denkanstöße geben. Denken müssen Sie nun selbst - und vor allem schauen. Jetzt sind Sie dran, mit Ihren Assoziationen, mit Ihren Gedanken, mit ihren Gefühlen. Eine Ausstellung dieser Art will nicht nur erdacht sein, nicht allein intellektuell erfasst sein, sie will vor allem erfühlt werden.

Viel Freude, viele Gedanken, viele Gefühle dabei! Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

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