"Waldes Dunkel" im Haus an der Redoute Bonn-Bad Godesberg
29.März - 21.April 2019
Einführungsrede:
Prof. Dr. Bernd Böhmer
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde der Fotografie,
Ellen Dornhaus hat uns heute zu einer Vernissage zum Thema 'Waldes
Dunkel' eingeladen.
Ihre Neugierde, liebe Besucher, ist sicher sehr gross, denn der Blick auf den
Wald ist aus sehr unterschiedlichen Perspektiven möglich.
In Deutschland sind 45 % des Waldes in privatem Besitz, in NRW sind es
sogar 67 %. Die Waldbesitzer werden daher den Wald in Deutschland mit
seinen 11,4 Mio ha, 1/3 der Fläche Deutschlands, zunächst aus
forstwirtschaftlicher Sicht betrachten, also in Festmetern Holz.
Urwälder oder Primarwälder gibt es auf der Erde nur noch zu 21 %, z.B. in
der Taiga und in den Karpaten, in Deutschland leider gar nicht mehr.
Dennoch haben wir mit den Nationalparken wie Harz, Eifel, Kellerwald,
Thuringer Wald und Bayerischer Wald sehr naturnahe Wälder.
Wenn ich das Motto 'Waldes Dunkel' aufgreife, dann hat der eine oder
andere von ihnen aufgrund der Diskussionen in den Medien auch die
ökologischen Funktion des Waldes im Kopf.
Als Kohlenstoffspeicher nimmt der Wald nicht nur grosse CO2-Mengen aus
der Luft auf sondern setzt auch Sauerstoff fur unsere Atmung frei.
Der dunkle Wald ist auch im Zusammenhang mit der Klimaerwärmung in
permanenter Diskussion. Aufgrund der geringeren Reflexion des Waldes
gegenuber hellen Getreideflächen tragt der dunkle Wald zu einer stärkeren
Erwärmung der Erde bei.
Nicht zuletzt werden viele von ihnen die soziale Funktion des Waldes im
Blick haben, wenn sie an des 'Waldes Dunkel' denken.
„Das Waldklima,
„die Ruhe des Waldes,
„die beruhigende grüne Farbe
machen den Wald nicht nur zum Erholungsgebiet,
„er wirkt entspannend fur Körper und Seele,
„er wirkt nachweislich heilend fur Kranke,
„er lässt unsere Gedanken schweifen,
„er führt zu neuer Inspiration.
Damit steigert der Aufenthalt im Wald die Lebensenergie und baut
Stresshormone wie Cortisol und Adrenalin ab.
Er lässt uns glücklicher werden.
Die Wälder stellen einen Teil unseres kulturellen Erbes dar. Sie sind in ihrer
heutigen Form ein wesentliches Element unserer Landschaft. Ohne
menschlichen Einfluss wäre Deutschland fast vollständig von hauptsächlich
sommergrünem Laubwald bedeckt. Vielleicht spielt der Wald fur uns in
Deutschland auch deshalb eine so grosse Rolle.
Der Erzählforscher Albrecht Lehmann postulierte in seinem Buch 'Von
Menschen und Bäumen' die Kontinuität eines schicht- und
generationenubergreifenden romantischen Waldbewusstseins der Deutschen
von der Romantik bis ins 21. Jahrhundert.
Zu dem ausgeprägten Umgang mit dem Kulturgut Wald gehören daher auch
die Diskussionen von Umweltschäden, wie z.B. dem Waldsterben, das in
Deutschland besonders heftig diskutiert wurde. Vielleicht haben sich daher
auch besondere Arten der Gedenk- und Trauerkultur in Form von
Waldfriedhöfen und Baumbestattungen entwickelt.
Wälder sind in Deutschland auch im öffentlichen Bewusstsein, in der
Folklore, in Medien und Populärkultur, wie der 'Freischütz' als deutsche
Nationaloper, die Heimatfilme wie 'Das Wirtshaus im Spessart' oder 'Der
Förster vom Silberwald'.
Die pathetische Beschwörung des Waldes als unverfälschte deutsche
Landschaft begann um 1800. Der Deutsche Wald wurde als Metapher und
Sehnsuchtslandschaft in Gedichten, Märchen und Sagen der Romantik
beschrieben und uberhöht.
Während der Befreiungskriege gegen das napoleonische Frankreich erklärte
die deutsche Nationalbewegung den Wald im historischen Bezug auf die
mythische Hermannschlacht im Teutoburger Wald zu einem Symbol der
nationalen Identität.
In diesem Zusammenhang nahm auch die Karriere der sprichwörtlich
gewordenen "deutschen Eiche" als nationales Symbol fur Stärke und
Heldenmut ihren Anfang. Der Schriftsteller Elias Canetti betonte noch 1960
die Wirkung der frühen und intensiv gepflegten Romantik des deutschen
Waldes auf die Deutschen. Canetti bringt den deutschen Wald in
Zusammenhang mit dem soldatischen Heer als deutschem Massensymbol,
so wörtlich, Zitat:
"... In keinem modernen Land der Welt ist das Waldgefühl so lebendig
geblieben wie in Deutschland. Das Rigide und Parallele der aufrecht
stehenden Bäume, ihre Dichte und ihre Zahl erfüllt das Herz des
Deutschen mit tiefer und geheimnisvoller Freude. ..."
Sie werden gleich erleben können, wie Ellen Dornhaus diese Metapher vom
Majestätischen, vom Soldatischen bis hin zum Gebrochenen in ihren Werken
aufgenommen hat.
Jakob Grimm erklärte in seiner einflussreichen deutschen Mythologie den
Wald zum naturnahen Ort ursprünglichen Volksglaubens und germanischdeutscher
Gottesverehrung.
Die Wandervogelbewegung sah im Waldwandern neben dem Bezug zur
Natur auch den Bezug zu einem Hort kultureller Traditionen, insbesondere
germanischer Mythologien.
Mit der Begrundung der Bundesrepublik wurde die deutsche nationale
Symbolik erneut aufgenommen, sowohl mit der Abbildung des Eichenlaub
auf Münzen und Scheinen, als auch mit der Eichen-Pflanzerin auf den 50
Pfennigstücken der früheren D-Mark.
Es ist daher wenig verwunderlich, dass der Wald auch in der Kultur eine so
herausragende Rolle spielt.
Sicher haben Sie folgendes Bild aus einem Märchen vor Augen:
"Vor einem grosen Walde wohnte ein armer Holzhacker mit seiner Frau und
seinen zwei Kindern."
lauten die ersten Zeilen des Volksmärchens Hänsel und Gretel. Der Wald
spielt darin die Hauptrolle. Ihn gilt es zu bezwingen, um gerettet zu werden.
In Kunstwerken, Literatur und Musik spiegelt sich die Auseinandersetzung
mit dem Wald und zugleich schärfen sie unseren Blick und unser
Bewusstsein fur heutige Herausforderungen und Fragestellungen.
Der Wald ist Ort der Göttlichen Offenbarung und des Verbrechens. In
Waldbildern dominieren starke Helldunkel-Kontraste. In den Jahresringen der
Bäume sind Ereignis- und Naturgeschichte eingeschrieben.
Motivisch changieren Gemälde vom Wald zwischen Naturidylle und
Schreckensort.
Ellen Dornhaus hat diesen Spannungsbogen in der ihr eigenen Weise
aufgenommen.
In Folge der Befreiungskriege gegen Napoleon begannen sich die Deutschen
als Nation zu definieren und so zeugen Caspar David Friedrichs romantische
Gemälde, wie etwa Kreuz im Gebirge oder Chasseur im Walde von einer
Epoche, die den Wald gesellschaftlich und künstlerisch mit nationaler
Bedeutung auflud. So wird die Hermannschlacht im Teutoburger Wald zur
künstlerischen Inspirationsquelle fur Heinrich von Kleists Drama Die
Hermannschlacht. Auch der mittelalterliche Heldenepos Das Nibelungenlied
mit der Ermordung Siegfrieds durch seinen Gegenspieler Hagen bei einem
Jagdausflug in den Wäldern erwacht in Wagners Oper Der Ring der
Nibelungen.
Künstler wie Joseph Beuys mit seiner documenta-Aktion 7000 Eichen
Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung entzaubern künstlerisch das
Waldmotiv.
In den 80iger Jahren bangten die Menschen um den Wald. Es griffen Ängste
vor saurem Regen und Waldsterben um sich und prägten den künstlerischen
Blick und Motive der jüngeren Vergangenheit. Die jüngere Kunst nutzt den
Wald auch als ironisches Kultmotiv und zeigt etwa einen röhrenden Hirsch
vor Baumen.
2014 bespielte der Architekt David Chipperfield den Ausstellungsraum der
Neuen Nationalgalerie, indem er Baumstämme wie Pfeiler zwischen Boden
und Decke des Gebäudes von Mies van der Rohe einspannte. Im Gegensatz
zu Chipperfields gefallten Baumen entwickelt Olafur Eliasson 2017 in
Zusammenarbeit mit dem Landschaftsarchitekt Günther Vogt die Arbeit
Yellow forest: Darin wachsen in der Haupthalle des Hamburger Bahnhofs in
Berlin zwei Birkenhaine in die Höhe. Jeder Hain ist von einem Ring gelber
Monofrequenzleuchten eingefasst, die nur eine Lichtwellenlange ausstrahlen
und bewirken, dass die Betrachter alle Farben als Schattierungen von
schwarz, grau und gelb wahrnehmen. Auch Ellen Dornhaus hat derartige
Effekte durch die digitale Bearbeitung ihrer Bilder erzeugt.
Die kulturelle Wahrnehmung und Inszenierung ist in der zeitgenössischen
Kunst eng mit dem Wald als Wirtschafts- und Lebensraum verwoben.
Anders, auf eigene Weise, betrachtet Ellen Dornhaus den Wald: Mit ihren
Bildern, die nicht nur fotografische Aufnahmen sind, sondern von ihr,
künstlerisch - aus Malerei und Zeichnung kommend, - in vielerlei Richtungen
digital bearbeitet wurden, will sie
„Ideen, Vorstellung, Ängste, Träume real erscheinen lassen,
„Erinnerungen, Fantasien, Illusionen in uns entstehen lassen,
die sich zu neuen Eindrucken und Erlebnissen verbinden.
Fotografie bedeutet ihr (so auf ihrer Homepage):
"einerseits Bilder der Fantasie zu konkretisieren,
andererseits Unscheinbares ins Licht zu setzen".
Lassen sie sich von Ellen Dornhaus auf verschiedenartige Weise in des
'Waldes Dunkel' entführen.
Prof. Dr. B. Böhmer Bonn im März 2019